Jahresgabe

Lithografische Reproduktion von — No fundo... — No fundo do fundo... — No fundo, no fundo...

Jorge Loureiro & Hyeju Lee & Luan Xiaochen & Sojeong Park

Stimmengewirr, Trubel, Gewusel, bevor die Lehrerin das Klassenzimmer betritt und für Ruhe, Konzentration und Ordnung sorgt: Ist diese Szene nicht eine Miniatur dessen, was am prägendsten an der Kindheit ist, und was dafür sorgt, dass sie nicht zu lange dauert?

Jorge Loureiros — No fundo… — No fundo do fundo… — No fundo, no fundo…(„— Tief unten… — am Grunde des Grundes… — Tief, tief unten…“) entlehnt Zeilen aus Marguerite Duras’ Ach, Ernesto!, der Geschichte eines Jungen, der, empört von der Aussicht, dass sein kindliches Unwissen überschrieben werden soll, sich weigert, zur Schule zu gehen. Doch der Dialog, der bei Duras die eine Geschichte Ernestos erzählt, wird bei Loureiro umgeordnet und von verschiedenen Kindern ausgesprochen. Das gesamte Klassenzimmer gerät so ins Pulsieren, und überführt diese Kindheit, die sich in der Geschichte gegen das Erwachsenwerden sträubt, in einen kollektiven Moment.

Denn was ist Kindheit? Eine besondere Begabung des Kindes, doch nicht sein Privileg. Auch Werke, auch Ideen, auch Lebensweisen haben ihre eigenen Kindheiten: Sie sind der Ort aller Anfänge, diese plastischen Ewigkeiten, die all das umgeben, welches noch nicht initiiert worden ist und so noch nicht gelernt hat, sich zur und für die Öffentlichkeit zu äußern. Das spielende Kind tut nicht nur so, als seien seine Spielzeuge ein Haus, ein Mensch oder ein Auto und es selbst Sänger:in oder Monster, für das Kind sind sie diese Dinge. Wirklichkeit und Möglichkeit sind für das Kind eins, bis es lernt, wie alle anderen zu sprechen, und darüber, was alle wissen.

Die Kindheit wartet auf Sprache, sie sucht sie sogar. Und doch ist diese Suche nicht ihre Essenz, sondern ein Glühen. Sie brennt, lodert, verzehrt sich in freudiger Unruhe… und erlischt. Wenn das Subjekt der Kindheit in Worte fassbar wird, wenn sein Sprechen sich mit jenem anderer verschränkt, wenn dieses Subjekt so zu sich selbst findet – dann ist es erwachsen und wird fähig, die Bühne der Geschichte und der Politik, des geordneten Wissens und des strategischen Handelns, der Gesellschaft und der Erinnerung zu betreten. Darin liegt das Paradox der Kindheit: Sie möchte immer weitergehen, bevorstehend und offen bleiben, doch es kann nichts wirklich begonnen werden, bevor der Anfang nicht ausgeschöpft ist. (Cai Katherine Miranda)