Pressemitteilung

Einmaliges Kulturgut in Gefahr: Kunstvereine fordern Krisenhilfe

Berlin, 6. November 2020. Seit 1792 sind die Kunstvereine ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell. Sie bilden eine Kulturlandschaft, in der bürgerschaftliches Engagement junge Kunst fördert, Bildungsangebote bereitstellt und Mitglieder und Besucher*innen auch in Krisenzeiten eine kulturelle Heimat und lebendige Kulturangebote finden. Die Corona-Pandemie verlangt den privat getragenen, oft ehrenamtlich organisierten Vereinen nun Außerordentliches ab. Angebote müssen aus bescheidenen Mitteln digitalisiert werden. Die Umrüstung von Ausstellungsräumen aus Hygieneschutzgründen verursacht beträchtlichen Aufwand. Vor allem aber müssen Mitglieder und andere Engagierte auch im Lockdown eingebunden werden, damit die Zivilgesellschaft nicht ihr größtes Netzwerk für Kunst und Künstler*innen verliert. Der Dachverband der deutschen Kunstvereine, ADKV, fordert auch für Kunstvereine die Bereitstellung zusätzlicher Mittel.

Während der Corona-Pandemie war so gut wie selten zuvor erkennbar, was die Bildende Kunst im deutschsprachigen Raum den Kunstvereinen verdankt. Kunstvereine haben mit geringen Mitteln Tausende Digitalangebote erstellt, den Kontakt zu Schulen und Bildungseinrichtungen gehalten und Künstler*innen in teils prekären Umständen unterstützt.

Kunstvereine sicherten auch in dieser Zeit das kulturelle Netzwerk bis hinein in kleine Städte und ländliche Räume. Sie arbeiteten an der Sichtbarkeit der Künstler*innen, deren Projekte weltweit abgesagt wurden. Oftmals boten sie durch ihre geringere Größe und größere Beweglichkeit besonders gute Voraussetzungen, nach dem Lockdown neue Angebote bereitzustellen und so Menschen in allen Regionen kulturellen Halt zu geben. In manchen Regionen und Kommunen waren die Kunstvereine mit ihren informellen Netzwerken und ihrer stetigen Mitgliederarbeit die einzigen Institutionen der Bildenden Kunst, die auch in der Schließungszeit ansprechbar waren.

Kunstvereine entstehen seit 1792 allein aus bürgerlichem Engagement und tragen als demokratisch organisierte Institutionen zur Aufklärung und Bildung von Menschen jeden Alters bei. Sie vermitteln Kunst der Gegenwart und üben hierüber Demokratie und Solidarität, Erkenntnis und Vernunft, Diversität und Toleranz ein. Kunstvereine schulen das kritische Denken in Bezug auf heute relevante Aspekte wie Migration und Identität, Feminismus, Rassismus, Kapitalismus, genderspezifische Fragen, Ökologie und Digitalisierung. Als „Turnhallen des Sehens und des Denkens“ sind sie Ausdruck dafür, dass Kunst und die Kultur innerster Kern und Ausdruck unserer menschlichen Zivilisation sind. Durch ihr zivilgesellschaftlich wirkendes Engagement stärken Kunstvereine die Demokratie.

Diese organisch gewachsene Struktur gerät nun in Gefahr. Wie bei Sportvereinen und anderen bürgerschaftlichen Institutionen entstehen zur Zeit beträchtliche Mehraufwendungen allein durch digitale Projekte, die Umrüstung von Ausstellungsräumen und durch die Entwicklung neuer Angebote für Mitglieder und Künstler*innen.

Mit großer Sorge sehen die Kunstvereine jedoch insbesondere, dass in den kommenden Jahren Einschnitte in den Kulturhaushalten zu erwarten sind, Fördergeber Mittel in existenzsichernde Förderungen für Künstler*innen umwidmen und die Kunstvereine neue Strategien entwickeln müssen, das Ehrenamt für die Bildende Kunst am Leben zu erhalten.

Gelingt es nicht, die Kunstvereine in der Krise besser auszustatten und Fördermittelausfälle zu kompensieren, droht in manchen Regionen das Aus für die Gegenwartskunst. In vielen Städten würden gerade die experimentellen Projekte verschwinden – eine Entwicklung, von der sich die aktive, föderal vielgestaltige Kunstszene nie wieder erholen würde.

Die ADKV fordert den Bund dazu auf, einen Sonderfonds für zivilgesellschaftliche Vereine der Bildenden Kunst in den kommenden zwei Jahren einzurichten.

Schließungen und andere Lockdown-Folgen müssen in den Kommunen ausgeglichen werden. Die Kunstvereine tragen notwendige Eindämmungsmaßnahmen gegen die Pandemie mit. Ältere Menschen und Risikogruppen sind auch Teil unserer Mitgliederschaft und wir sind mit ihnen solidarisch.

Bei künftigen Eindämmungsmaßnahmen brauchen wir aber ein differenzierteres Denken gerade gegenüber den kleineren Kultureinrichtungen. Hier wurden mit großem Aufwand und beachtlicher Kreativität tragfähige Hygienekonzepte erarbeitet. Die Kunstvereine sind keine Unterhaltungsangebote, sondern Orte der kulturellen Bildung, die dazu beitragen, die Folgen der Corona-Krise zu mindern und die kulturelle Identität in den Regionen zu erhalten. Die Kommunen sollten deshalb mit den Vereinen Einzelfallprüfungen vornehmen statt pauschal zu schließen und so entscheiden, in welcher Weise Kulturangebote zugänglich gemacht werden können.

Zuletzt aber plädieren wir dringend dafür, die Arbeit der bildenden Künstler*innen, die aktuell erneut stillstehen muss, sowohl ideell als vor allem auch finanziell noch schneller und breiter zu fördern.